Zum untenstehenden Dokument schrieb mir Frau Dr. Dorothee Neumaier von der Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften der Fernuniversität Hagen folgendes:

Ich bin auf ein Dokument gestoßen, in welchem Else Oventrop zwar nicht namentlich genannt wird, aber meines Erachtens vielleicht bzw. wahrscheinlich gemeint sein könnte. Es handelt sich dabei um ein Schreiben Ebners an eine Frau Luise D., möglicherweise eine Kindesmutter aus dem Heim „Hochland“. Ebner schreibt: „[…] Unsere alte Oberschwester kann ich ebenfalls gar nicht vergessen. In meinem Dienstzimmer in Steinhöring hängt ein sehr schönes Bild von ihr, das ich von ihren Angehörigen bekommen habe. Es ist mir eine sehr liebe Erinnerung an diese prächtige Frau. […]

Ich vermute, dass Luise D., zum Zeitpunkt des Briefkontakts im Oktober 1943 verheiratet und mehrfache Mutter, möglicherweise in Steinhöring war, als Oberschwester Oventrop dort noch tätig gewesen war. Für meine Überlegung, dass es sich bei dem Zitat um E. Oventrop handelt, spricht, dass in dem Brief auch noch Personal erwähnt wurde, welches ebenfalls zu dieser Zeit in Steinhöring tätig war, beispielsweise Schwester Leni, Oberschwester Else Krauss und Frau Dr. Westermann, die von 1939 bis Juni 1940 im Heim „Hochland“ als Ärztin arbeitete. Frau Westermann, geborene Eck, hatte übrigens nicht promoviert, obwohl sie in der Lebensbornkorrespondenz sehr häufig mit akademischem Grad geführt wurde. Während ihrer Anstellung in Steinhöring war sie noch unverheiratet und trug den Mädchennamen „Eck“. Sie unterzeichnete die von Ihnen benannte „Beurteilung Schwester Ottilie S.“ mit A. (Almut) Eck deshalb auch ohne Titel (vgl. Ihre PDF, S. 4). Ich kenne die Unterschrift von A. Eck, verehelichte Westermann, da ich über sie und ihren Mann biografisch geforscht habe [...]

Weiterhin ist anzunehmen, dass Ebner kein Bild einer noch lebenden Oberschwester in seinem Dienstzimmer platziert hätte, zumal das Bild laut Zitat von Angehörigen übersandt worden war.

 

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Streng vertraulich !

Beurteilung

Heim "Hochland" Steinhöring Obb. 6. Februar 1940.

Name: S e i d e l
Vorname: Ottilie
Geburtsort und Geburtsdatum: 22. Dezember 1894 Greiz/Thüringen
Konfession: evangelisch
Erlernter Beruf: Krankenschwester und Kindergärtnerin (NS-Gemeindeschwester)
jetz. Beruf: NS-Schwester
Dienststellung im Heim: SS-Oberschwester
seit: 4. Januar 1940.

I. Allgemeine äussere Beurteilung:

a) rassisches Gesamtbild: vorwiegend nordisch, dunkelblond, groß, gute Figur, macht jedoch keinen geschlossenen und sympathischen Eindruck, die Unstetigkeit im Wesen macht sich auch schön äusserlich bemerkbar


b) entspricht das Erscheinungsbild dem Ausleseprinzip der SS: ja, rein äusserlich gesehen.

c) persönliche Haltung: an der persönlichen Haltung mangelt es besonders, s.u.

d) Auftreten und Benehmen in- und ausser Dienst: s.u.

e) geldliche Verhältnisse: hier unbekannt, anscheinend geordnet.

f) familiäre Verhältnisse: hier unbekannt, anscheinend geordnet.

II. Charakterliche und berufliche Beurteilung:

a) Allgemeine Charaktereigenschaften: nicht ganz offen, unausgeglichen im Wesenm nähere Begründung s.u.

b) Auffassungsgabe, Wissen, Bildung und geistige Frische: für einen leitenden Posten liegt die Bildung weit unter Durchschnitt, sehr langsame Auffassungsgabe, geistig wenig rege und frisch. Es fehlt auch an dem nötigen Interesse.

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c) Berufliches Können: Schw.O. übt ihren eigentlichen Beruf bei uns nicht aus (Kranken- und Gemeindeschwester). Für den leitenden und repräsentativen Posten einer Oberschwester in einem SS-Mütterheim ist sie ungeeignet, da es an den primitivsten Bildungs- und Umgangsformen fehlt.

d) Arbeitsleistung und Auffassung: nur Durchschnitt und absolut kein Vorbild oder Ansporn für die ihr Untergebenen.

e) Verhalten zu den Müttern: im grossen und ganzen sehr freundlich, lässt es jedoch an einer wirklichen Führung und der notwendigen Würde, die wir verlangen müssen und unserer leitenden Oberschwester zukommen, fehlen.

f) Verhalten zu den Vorgesetzten: vergreift sich leicht im Ton, nicht böswillig, sondern aus Unkenntnis der einfachsten Umgangsformen.

g) Verhalten zu den Untergebenen: weiss sich keinen Respekt zu verschaffen, sodass ihr die jüngsten Schülerinnen auf der Nase herumtanzen. Ausserdem leiht sie jedem Klatsch ihr Ohr, lä§t sich in diesen Klatsch hlneinziehen oder gibt ihn sogar weiter. Durch dieses Benehmen werden evtl. Reibereien nicht behoben, sondern nur noch gefördert. Es fehlt Schw.O. absolut an dem für eine leitende Persönlichkeit notwendigen Abstand gegenüber den Untergebenen, der jedoch eine herzliche Kameradschaft absolut nicht ausschliesst.

h) Weltanschauliche Einstellung: Schw.O. hat in dieser Beziehung bisher noch garnichts von sich gegeben. Besonders aufgefallen ist bisher nur die Verständnislosigkeit gegenüber den augenblicklichen Zeitverhältnissen. Wir müssen von unserer Oberschwester verlangen, dass sie sich hauswirtschaftlich voll und ganz auf den Krieg einstellt, um auch in dieser Beziehung den Frauen richtungweisend zu sein. Wlr vermissen an ihr jene klare nationalsozialistische und lebensbejahende Haltung, die sie von vornherein als führende Persönlichkeit herausstellt, zu welcher Mütter, Schwestern und Angestellte als Vorbild aufsehen können. Wir haben bisher den Eindruck gewonnen, dass Schw.O. überhaupt nlcht in der Lage ist, über nat.soz. weltanschauliche Fragen zu diskutieren, geschweige, dass sie nach der nat.soz. Weltanschauung ihr Leben aufgebaut hat.

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Gesamtbeurteilung: NS-Schwester Ottilie Seidel ist seit dem 4. Januar d.J. als Oberschwester des SS-Mütterheims Steinhöring Obb. eingesetzt. Wir können schon nach der verhältnismässig kurzen Zeit von vier Wochen aus Ihren Wesen, ihrer Arbeit und ihrem Auf treten ersehen, dass sie für die Arbeit in einem SS-Mütterheim ungeeignet ist. So hat sie es absolut nicht verstanden, sich mit etwas Fein- und Takgefühl in ihren neuen Wirkungskreis einzuarbeiten. Bei ihrem Dienstantritt wurde Ihr volles Vertrauen entgegen gebracht. Jeder Mitarbeiter hat sich bemüht, ihr das Einarbeiten zu erleichtern und Ihr behilflich zu sein, jedoch stiessen wir bei Schw.O. auf völliges Unverständnis. Sie hat bis heute noch nicht erkannt, auf welche Belange es bei ihrer jetzigen Stellung ankommt. So kümmert sie sich um Angelegenheiten, die sie garnichts angehen und übersieht dabei die Pflichten ihres eigenen Aufgabenkreises. Dabei liegt ihr Aufgabengebiet klar und deutlich vor ihr.

Besonders unangenehm fiel bisher die Unwirtschaftlichkeit der Schw.O. auf, wenn es sich um den Geldbeutel anderer Leute handelt. Sie machte Anschaffungen, die sowohl mit unseren geldlichen Verhältnissen als auch mit der augenblicklichen Kriegslage nicht in Einklang zu bringen sind, Schw.O. ist für den Posten der Oberschwester ungeeignet, da es ihr einfach an der notwendigen "Kinderstube" fehlt. Sie versagt bei den kleinsten Anlässen, sodass man ständig befürchten muss, dass sie in ihren Reden grobe Formfehler macht. Sie redet zwar sehr viel, jedoch meist oberflächlich ohne Sinn und Verstand. Es fehlt häufig sogar an einer grammatikalisch richtigen Satzbildung. In der Unterhaltung ist sie derartig oberflächlich, dass es nlcht möglich ist, ernsthafte Dinge eingehend mit ihr zu besprechen. Man muss daher fast annehmen, dass es ihr überhaupt an einer reifen und ernsten Lebensauffassung fehlt. Wir müssen von der Oberschwester unseres Heimes zumindest erwarten, dass sie ein absolut sicheres Auftreten und vorbildliche Umgangsformen zeigt. Die Oberschwester hat bei jeder Gelegenheit als Hausfrau das Heim zu vertreten (SS-Namensgebung, Hochzeiten, Besichtigungen, usw.) Darüber hinaus hat sie sehr oft im kleineren, geselligen Kreise die Unterhaltung und hausfrauliche Betreuung von Gästen zu übernehmen (Schulungsredner, Besuche durch SS-Führer usw.). Hier mangelt es bei Schw.O. sowohl an geistigen Fähigkeiten als auch an gesellschaftlichen Umgangsformen völlig.

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Wir fanden in unserer früheren Oberschwester Else Oventrop alle diese erforderlichen Eigenschaften in hausfraulicher, wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und vor allem weltanschaulicher Hinsicht in vorzüglichster Weise vereinigt, sodass die Unfähigkeit der Schw. Ottilie Seidel doppelt zu Tage tritt.

Der Leiter des SS-Mütter- und.
Kinderheims "Hochland" in
Steinhöring Obb. :

i.V.
Heimärztin

SS-Oberführer u. geschäftsführender
Vorstand des "Lebensborn" e.V.

Kn
 
 
06.02.1940 – Beurteilung Schwester Ottilie S.
 
 
 
 
 
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